Die Blaumeise und das Feuer

Mitten im großen Wald auf einer kleinen Lichtung steht eine große, uralte Eiche. Viele Eichhörnchen leben von ihren Früchten und unzählige Vögel nisten in ihren Ästen. Wildbienen und Schmetterlinge fliegen um die mächtige Krone. Im Schatten der alten Eiche ruhen sich Tiere und Menschen aus. Eines Tages zieht eine dunkle Gewitterwolke auf. Es gibt nur einen hellen Blitz und ein gewaltiges Donnern. Danach steht die Eiche in Flammen.

Eine kleine Blaumeise sieht das Feuer und fliegt zum nächsten Bach. Sie füllt ihren kleinen Schnabel mit Wasser und kommt zurück zur alten Eiche. Diesen Tropfen Wasser lässt sie auf einen brennenden Ast fallen. Entschlossen fliegt die kleine Blaumeise immer wieder hin und her, um ein wenig Wasser auf das Feuer zu tröpfeln.

Voller Panik und Angst saust der Hase vom Feuer davon und ruft der Blaumeise zu: „Weg, weg! So schnell es nur geht. Hier ist es viel zu gefährlich. Rette sich, wer kann!“

Auf sicherem Boden am Bach steht der Pfau und lacht die kleine Meise aus: „Was du tust, ist sinnlos. Wenn ich in die Nähe des Feuers käme, da würden ja meine schönen Federn verbrennen.“  

Die Eichhörnchen sammeln noch schnell die letzten Eicheln, die sie finden können und vergraben sie in Sicherheit. „Dann werden wir auch nach dem Feuer genug zu essen haben.“

Die Schlange sieht die Anstrengung der Blaumeise und ruft ihr zu:  „Kleine Meise, ich bewundere dich. Du hast Mut. Ich würde so gerne helfen, aber es fallen schon brennende Äste herunter und der Boden ist bereits zu heiß für mich. Ich kann nicht fliegen, so wie du. Vielleicht hilft es, wenn ich allen Vögeln, die ich treffe, erzähle, dass hier Hilfe nötig ist.“

Mit großem Abstand fliegt ein Pelikan vorbei. Mit seinem Schnabel könnte er viel Wasser transportieren. Aber er sagt nur: „Das ist Euer Problem. Damit habe ich nichts zu tun!“

 „Das Feuer hat für mich nur Vorteile“, freut sich der Wolf. „Die Hasen achten nur noch auf die brennende Eiche. Da ist es für mich ein leichtes Spiel, einen von ihnen zu erwischen.“

„Ich fliege hoch über der brennenden Eiche und drehe hier meine Kreise“, denkt sich der Falke. „Von hier oben kann ich mir in Ruhe das Chaos da unten anschauen. Wie dumm sich doch die anderen Tiere verhalten!“

Ein kleiner Spatz kommt, schaut der Blaumeise zu und schüttelt den Kopf: „Mit deinem kleinen Schnabel wirst du das riesige Feuer nicht löschen können.“ „Ich weiß, “ antwortet die Meise, „aber ich will mir nicht vorwerfen müssen, ich hätte nichts dagegen getan, als die große Eiche in Flammen stand. Ich tue nur das, was ich kann. Aber wenn noch viele andere Vögel kommen – vielleicht hundert – vielleicht tausend – vielleicht hunderttausend – dann wäre es schon möglich, das Feuer zu löschen.“  

Nach alten Motiven
neu erzählt
von Herbert Adam